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Mittwoch, 5. September 2012

Star zum Mittagessen I Sandra Wöhe

Star zum Mittagessen

„Na, endlich, da bist du ja!“ Seit einer Viertelstunde schon warte ich in der Edel-Boutique auf Irma und bewache den Stapel Größe 38. Nun ja, 40. 42 würde ich nie probieren. Niemals. Heiße ich Marilyn? Oder etwa Norma Jean?
„Wo brennt’s denn?“ Irma kaut genüsslich. Wenigstens mittags sollte sie gesünder essen, sonst werden die Falten sie bald packen, und das nicht nur am Genick.
„Ich werde ein Star, Irma, such mir was aus!“
Meine allerbeste Freundin in sämtlichen Lebenslagen verschluckt sich beinahe an ihrem Sandwich. „Wie bitte?“ Sie räuspert sich. „Du schreist mich zum Styling? In meiner Mittagspause? Welcher Schuh hat dich denn getroffen?“ Sie dreht sich auf dem Absatz um und verlässt den Laden.
Die Kleider fliegen auf den nächsten Ständer. Ich laufe ihr nach. „Ir-ma. Waar-te. Iiirmaa! Ich brauche dich.“ Endlich habe ich sie eingeholt. „Ich brauche deinen Rat! Weil, weißt du …“ Mir wird heiß. „Ich komme auf den roten Teppich! Und du sollst mein erster Fan sein. Bist du doch immer. Red carpet! Ich! Hörst du? Red! Carpet!“ Dass sie, meine Lieblings-Irma, die Erste Vorsitzende meines Fanclubs wird, das muss ihr doch imponieren!
Sie zeigt mir den Vogel. „Als gesponserter Hintergrund?“ Sie lacht. „Klar bist du ein Star. Topmodel. Wo ist das Foto? Zeig mal her.“
Irma kann so böse sein! So gemein war ich nie zu ihr. In all den Jahren nicht. „Wer spricht denn hier von Heidi, Jette, Karl? Oder Prèt-à-party. Wie auch immer das heißt. Ich werde Star des Supermarkts. Die Athletin der Apotheke. Das Gesicht der Genossenschaft.“
Endlich kann ich meiner Irma erzählen, wie mir der Fotograf seine Karte in die Hand gedrückt hat. Das neue Gesicht für Kataloge, Drogeriemagazine und Lebensmittelzeitungen! Ein Durchschnittsgesicht, aber speziell, mit Ausstrahlung. Ich eben. Morgen ist das Casting, elf Uhr in Studio 15.
„Supermarkt-VIP?“ Irma zuckt mit der Schulter. „Musst du dafür wie Michaela Nackedei durch den Dschungel flitzen? DJane für den Discounter?“
Dschungel? Irma sieht vor lauter Lianen die Reality nicht. Die Chancen. My chance, my very, very own. Ein Klick, ein Foto, a star is born.
Ich packe sie und walze mit ihr die Plakatwand entlang. „Red carpet, here I am! Die Medien werden sich um mich reißen. Die Homestory ist praktisch schon gedruckt.“
Geld werde ich verdienen, richtig mächtig Kohle. Money, money, money. Ich werde nie mehr arbeiten müssen. Ein Tablet oder Smartphone? Wieso oder? Kreditkarte. Schwarze credit card. Black is a girl’s best friend.
„Lässt du die Presse in deine Höhle, verlierst du mindestens zwanzig Prozent deiner Persönlichkeitsrechte. Wenn nicht noch mehr. Für immer! Frag Brigitte Nielsen.“
Warum macht Irma das? Warum verdirbt sie mir den Spaß? Ein bisschen Träume liften darf doch jede. Warum nicht ich? Ist sie etwa neidisch?
„Irma, liebe, liebe Irma, hilf mir doch. Was soll ich zum Shooting anziehen? Mein Must-have, morgen schon brauch ich das!“
Irma hebt die Augenbraue. „Du wirst ein Star? Such dir was aus!“ Sie beißt in ihr Sandwich und ist gleich darauf verschwunden.